Streiflicht 10 – Mai 17

Frühlingserwachen jetzt erst RECHT

Bald haben wir Mai, und noch immer kann man gelegentlich einen Hauch von Raureif auf den Autodächern schimmern sehen. Dennoch verkünden wir voller Enthusiasmus: der Winterschlaf ist beendet!!!

Das dritte TUSCH-Jahr ist in vollem Gange, doch schneller als wir es wahrhaben wollen, wird es sich auch wieder dem Ende zu neigen. Vorbei ist eine gemäßigte, zurückgezogene Phase unserer Partnerschaft, in der weniger gemeinsame Projekte stattgefunden haben – wobei etwas „Zurückgezogenheit“ als Zeichen für einen natürlichen Abnabelungsprozess gedeutet werden sollte, schließlich waren ja schon Zwiebeln in die Erde gepflanzt worden, lange bevor der Winter kam. Einige Zwiebeln, will sagen künstlerische Projekte wachsen allein mit Wasser und Sonne, andere brauchen zusätzlichen Dünger, um zu voller Blüte zu gelangen, will sagen Profis, Partner, beste Freunde und natürlich ganz viel Liebe.

Die KollegInnen und Kollegen sind flügge – man möge uns den Ausflug ins Tierreich verzeihen – und wagen sich zuversichtlich an ganz eigene Projekte. Bei Bedarf wissen sie, wo sie sich Hilfe holen können und tun dies auch. TUSCH wird kein Leuchturmprojekt werden, da sind wir uns einig, die Samen der Nachhaltigkeit sind längst gesät und aufgegangen.

Nach dem letzten TUSCH-Partnertreffen Ende April, das in der Bürgerstiftung Hamburg stattgefunden hat, haben wir viele neue Impulse bekommen. (Danke Anne Katrin! Dank auch den Organisatoren und Teilnehmern). Der Austausch mit den TUSCHisten (oder TUSCHlern?) hat uns Ideen und Anregungen gegeben, die wiederum Prozesse in uns in Gang gesetzt haben, welche uns des nachts wach halten. Leider fehlt ja tagsüber meist die Zeit für kreative und phantasievolle Denkprozesse, die ein bestimmtes Maß überschreiten, zumindest aber reicht sie nicht aus, um Qualität zu garantieren. In unserem vollgestopften Schulalltag, mit all seinen bürokratischen Zusatzaufgaben bleibt, begünstigt durch ein absurdes Arbeitszeitmodell, kaum Zeit für Muße, kaum Zeit, um anspruchsvolle künstlerische Projekte planen, entwickeln, erproben, durch- und aufführen zu können. Das ist schade, denn darunter leidet mit Sicherheit auch oft die Qualität schulischer „Theaterbetriebe“, ganz abgesehen von der Qualität des Unterrichts im Allgemeinen. Und: Ständig Überstunden, ständig jede Nacht durchmachen geht schließlich auch nicht…

Der Politik zum Trotz machen wir weiter, so gut wir eben können!

Derzeit steckt der Profilkurs der Stufe III (Klasse 5+6) wie wir bereits berichteten, mitten in den Proben zu dem Stück „KINDgeRECHT“. Es wird experimentiert, getanzt und gelacht und die Ideen zum Stück sprudeln nur so über! Die Schülerinnen und Schüler und ebenso die Lehrerinnen Anna-Lena Prüß und Silke Marr-von Ostrowski, hatten am 19.05.2017 das große Glück vier intensive Stunden mit der Choreographin Dorothea Ratzel zu proben. Dorothea war in den vergangenen drei Jahren schon mehrmals bei uns an der Schule und wir lieben ihre großartige Kreativität und Energie. Sie ist ein exzellenter Dünger! Sie kommt, sieht und… ja, was eigentlich? Um diese Frage zu beantworten muss ein wenig ausgeholt werden:

An einem Mittwoch Morgen um kurz nach acht schwebte sie etwas abgehetzt in unseren Probenraum (und das will schon etwas bedeuten, wenn jemand schweben kann, obwohl er abgehetzt ist. Mit schweben wollen wir jetzt gar nicht sagen, dass sie abgehoben ist, nein sie schwebt irgendwie bodenständig, engelhaft, burschikos, dynamisch…aber wir schweifen ab.)

Wir starteten also den kompletten Durchlauf unseres ca. 30minütigen Stückes. Dorothea tauchte sofort ein. Bei der Nachbesprechung dann übernahm sie das Ruder, und wir Lehrerinnen hatten endlich einmal die Gelegenheit, als Außenbeobachter auf die gesamte Szenerie zu blicken. Das ist großartig, denn sonst ist man ja oft dermaßen involviert, dass man entweder betriebsblind wird, den Überblick, verliert oder aber Dinge übersieht oder schleifen lässt. Dorothea zuschauen zu dürfen, öffnete unsere Augen in vielerlei Hinsicht. Mit analytischem Blick, einfachen Tricks und Übungen sowie einem ungeheuren Gespür für die Eigenarten eines jeden Kindes, Eigenarten die es zu verstärken gilt – und nicht zu maßregeln oder zu verbiegen – erweiterte sie das Bewusstsein der Kinder für ihren Körper und seine Einzigartigkeit und verdeutlichte ihnen ihre Ausstrahlung und Wirkung auf den Zuschauer. Uns Lehrerinnen ging auf, dass wir in der Vergangenheit oft schier Unmögliches von unseren jungen Schauspielerinnen und Schauspielern verlangten, Dinge die nicht ihrer Natur entsprechen. Es war somit nicht verwunderlich, dass sie beim Spielen auf der Bühne mehr einer leblosen Hülle als einem lebendigen Kind glichen. Ein stark verkürzter, kurzer Gedächtnis-Dialog soll dies verdeutlichen:

Dorothea: Kinder, ihr müsst gucken! Du da, du guckst sie ja gar nicht an, wenn sie dir was erzählt.

Kind: Aber ich hör sie doch!

D: Ja, aber das seh´ ich nicht als Zuschauer. Ich denke, du langweilst dich, wenn du sie nicht anschaust. Und es reicht auch nicht, wenn du deinen Kopf nur ein bisschen drehst, dein ganzer Körper hört zu.

Im Anschluss daran folgte eine Übung, in der die Kinder probierten, einander so zuzuhören, dass es der Zuschauer auch merkt. Eingefallene Körper richteten sich auf, (unsere Nackenhaare auch), Augen begannen zu leuchten, weil man sie endlich mal sehen konnte, Bühnenpräsenz ward zum Leben erweckt, und das alles nur durch einen einfachen Trick. Es wurde im weiteren Verlauf an vielem geschraubt, gefeilt und einiges verändert, besonders die Massenszenen verdichteten sich. All dies verhalf nicht nur den kleinen Schauspielerinnen und Schauspielern zu kreativen Denkprozessen und regte einmal mehr die Auseinandersetzung mit dem Thema „Kinderrechte“ an. Die Bewerbung bei tms (Theater macht Schule) läuft noch und die Kinder hoffen darauf, echte Theaterluft schnuppern zu dürfen – für einige Schülerinnen und Schüler wäre das bereits das zweite Mal auf einer Profibühne!

Am 08. Mai 2017 werden 2 Lerngruppen der 1. + 2. Klasse die Musik- und Theaterperformance „Jalla! Let’s do it!“ besuchen, die von Grundschülern in Kooperation mit dem Thalia Theater, den Hamburger Symphonikern und der Grundschule am Schleemer Park in Hamburg-Billstedt aufgeführt wird! Wir sind sehr gespannt!

Und wenn es draußen etwas wärmer wird und trocken bleibt, dann rollen wir auf dem Schulhof eine riesige Blumenwiese aus. Aber dazu mehr im nächsten Streiflicht. Wir freuen uns auf weitere gemeinsame Theater- und Kunstprojekte mit dem Thalia-Theater und wollen es im letzten TUSCH-Jahr noch einmal richtig krachen lassen!

Silke Marr-von Ostrowski und Anna-Lena Prüß

Foto oben: Silke Marr-v.O.